10 März 2015

Mein Körper und ich



(Vorsicht: mögliche Trigger Essstörungen)

Vor kurzem bin ich hier und da auf den Body Positive Practicing Month gestoßen, den Wurzelfrau ins Leben gerufen hat:
http://wurzelfrau.de/2015/02/einladung-body-positive-practice-month/
Ich habe diesen Anlass genutzt, mein Körper- und Bewegungsverhalten zu durchdenken.

Mein Körper und ich, das ist eine lange Geschichte voller Missverständnisse. Als Kind war ich schon immer sehr viel größer und dicker als die anderen Kids. Ich habe mich dafür fast kontinuierlich geschämt. Meine Eltern, beide berufstätig, nahmen mein Dicksein hin. Alle Verwandten der väterlichen Linie waren/sind dick, also ich auch, das ist halt so und hatte wohl in ihren Augen keinen erkennbaren Zusammenhang mit der Speisekarte daheim, die noch sehr von der „Fresswelle“ der 50er-60er geprägt war. Ich war ein mopsiges, stilles, aber auch intelligentes und bis zur Pubertät meist auch hgalbwegs beliebtes Kind. „Besser dick als doof!“, rief ich frechen Jungs zu, die mich hänselten. (Es waren immer Jungs.) Ich war die große Freundin, die die kleineren Mädchen vor den bösen Buben beschützte. Ich fand das groß-und-dick-Sein damals nicht immer schlecht.

In der 4. Klasse musste ich auf Hausarztanweisung (O-Ton dieses Mannes: Man sollte alle Dicken so lange in einen Käfig sperren, bis sie durch die Gitterstäbe entkommen können) in eine „Kinderheilstätte“, um dort abzunehmen. Sechs Wochen gab es u.a. ungesalzenen Reis mit ungesalzener Tomatensoße, Spaziergänge im Kurgärten sowie nach Schwefel schmeckende Heilwasser. Ich kam 12 Kilo leichter und 4 Zentimeter kleiner (???) nach Hause. Doch die Jahre drauf schoss ich nicht nur weiter in die Höhe - ich hatte mit 12-13 herum meine heute Körpergröße von knapp 1,80 erreicht – sondern auch in die Breite. 100 Kilo wog ich da, was damals als unglaublich extremes Übergewicht galt. Sportunterricht war eine Qual (Ringe...), den Klassenkameradinnen bei ersten Dates und Knutschversuchen zuschauen auch. Ich wollte das alles auch haben, was die hatten. Aber mich würde ja nie einer lieben, wenn ich dick bin.
Nach einer Skifreizeit mit Ekelessen und den ganzen Tag Skifahren oder besser Skifallen waren es mit 14 noch 92 Kilo. Dann kam ich vier Wochen in eine „Stoffwechselklinik“ und wurde auf „modifiziertes Fasten“ gesetzt. Das heißt, 450 Kalorien am Tag in Form von Diätdrink. Klappte prima, ich nahm auch danach immer weiter ab dank Schlabberbrei mit Geschmacksrichtung Vanille, Cappuchino oder Schoko. Mit 15 entdeckte ich dazu, dass man ja gelegentlich zu sich genommene Speisen auch einfach wieder erbrechen kann. Außerdem gab es damals rezeptfreie Aufputschmittel, die den Hunger unterdrücken. Yeah!

Ich steuerte mit 16 rum auf meinen Kilotiefstand von 59 Kilo zu. Lehrer sprachen mich drauf an, ob ich magersüchtig sei, und ich fand das toll. Je mehr ich hungerte, desto mehr mag man mich und betüddelt mich, lernte ich. Ich hasste und verachtete meine Mitmenschen dafür.

Zum Glück, sag ich da, entdeckt eich im gleichen Alter, dass man auch andere verrückte Dinge mit sich anstellen kann wie Sex, Saufen und Drogen nehmen. Ich begann mich für Party und Jungs, Gedichte von Sylvia Plath und verrückte Klamotten zu interessieren und verlor den Punkt Hungern etwas aus dem Blick. Bis zur Studentenzeit blieb ich schlank, dann ging ich wieder dank studentischer Fertigmenü-Whiskey-Mast in die Breite. Mit Mitte 20 nahm ich noch einmal in meiner einzig ausprägten manischen Phase deutlich ab, ebenso noch einmal mit Mitte 30 dank einer vernünftigen Ernährungsumstellung. Das Problem ist – wenn ich nicht wirklich sehr auf jede Kalorie achte, pendle ich mich, auch mit gesundem Essen und Sport, irgendwo zwischen Kleidergröße 44 und 48 ein. (Auf eine Waage bin ich schon seit vielen Jahren nicht mehr gestiegen.) Punkt.

Ja, und da bin ich heute und denke mir mit 41 und dickem Bäuchlein zwischen rundem Busen und über strammen Beinen – ich hab meinen Körper viel mehr gerne als früher. Kein Wunder, wenn ich ihn immer so gequält habe damals. Ich sage mir inzwischen – mein Körper ist mein bester Freund.* Ich würde doch auch nie einen Freund hassen oder auch nur weniger lieben, weil er zu dick ist oder nicht super sportlich. Ich finde mich auch vom Aussehen in ok. Schön? Nein, da ich Schönheit als eine überdurchschnittliche Sache definiere. Es ist eher so, dass es mich nicht kümmert, ob ich "schön" bin. In meinem Job beispielsweise muss ich aufmerksam, freundlich, verbindlich, diplomatisch sein. Optimal ist ein gewisser Wiedererkennungswert (den ich habe). Aber schön? Unnötig. Das gleiche gilt in meiner Beziehung und in Freundschaften. Du musst schlank uns schön ein, prasselt es von überall auf uns Frauen ein. Ich frage mich – für wen?

* (Natürlich BIN ich mein Körper. Und eigentlich auch sonst nichts. Das soll nur ein Gleichnis sein.)

Nichtsdestotrotz gibt es Dinge, die ich an mit toll finde: meine rote Haarmähne, meine langen, muskulösen Beine, meine Augen, die die Farbe von grau zu grün wechseln können.

Und natürlich möchte ich durchaus gesund und halbwegs fit sein, um mich wohlzufühlen.

Mit Mitte 20 habe ich dafür Wandern für mich entdeckt, und wenn ich kann, streife ich seitdem gerne in den Wäldern herum. Ich bin da nicht ungeheuer ambitioniert, aber wenn ich mich mit Gleichaltrigen vergleiche, bin ich lange nicht mehr so abgeschlagen unsportlich wie als Kind. Wenn Zeit, Gesundheit und Wetter es zulassen, bemühe ich mich, meinem Ziel von 5 km am Tag nahezukommen (mit Steigungen natürlich, ist ja hier Mittelgebirge). Können auch mal 3 sein oder 12. Viel mehr laufe ich seltenst am Stück. 20 Kilometer sind immer noch ein unerreichtes Ziel. Wandern tut mir gut, befreit meinen Kopf, ist Therapie gegen alles. Leider hatte ich in letzter Zeit Gezicke meiner Achillessehne und musste etwas kürzer treten.

Dann mache ich wieder Tai Chi. Hatte das lange Jahre betrieben, musste es aber wegen meines Berufs einstellen, da ich zur Trainingszeit fast immer arbeiten ging. Und ohne regelmäßigen Kurs bleibe ich einfach nicht dran an der Sache. Nun habe ich bei einer neuen Trainerin einen neuen Kurs in einem neuen Tai-Chi-Stil und mache das gerne. Schön ist auch, dass mein wilder Ehemann, der meine Wanderleidenschaft nicht ganz teilt, mit mir den Kurs zusammen besucht. Wir wollen auch häufiger zusammen üben, heute haben wir es mal geschafft.

In den letzten Tagen bemühe ich mich auch wieder, bewusster und gesünder zu essen. Ich ernähre mich eigentlich ausgewogen, koche gerne und fast jeden Tag frisch. Ich esse viel Gemüse, in letzter Zeit auch wieder häufiger gekochte Getreidekörner, sonst auch Nudeln oder Reis, Kartoffeln, Brot, Milchprodukte, ab und zu Fisch, etwas Obst. Und gerne Knabbernüsschen aller Art. Ich trinke gerne Kaffee, Mineralwasser und Rotwein oder auch mal Bier. Zurzeit lauer ich auf die Wildkräuter, Bärlauch ist schon da und wird fleißig verwendet, die Brennesseln lassen sich noch Zeit.

Ja, da bin ich nun. Ich wollte eigentlich irgendein Bild von mir dazuposten, aber meine Knipse hat beschlossen, dass das Bild total überbelichtet ist. Nun, für unterbelichtet habe ich mich auch noch nie gehalten ;-)



3 Kommentare:

distelfliege hat gesagt…

heyho :)
Äh, eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich den Text gelesen habe und super fand.
Ich finde es auch schön, dass du dich irgendwo eingependelt hast mit deinem Körper und seiner Form und damit zufrieden bist. Darin finde ich mich auch wieder.
Tai Chi fand ich auch immer cool, kann ich aber nicht, wegen der Knie. Ich kann einfach nicht mit leicht angebeugten Knien irgendwas machen, ausser aufm Rücken liegen oder wenn ich in einem See schwimme. ;)
Und ich finde es toll, dass du von deiner Hungerei und dem Abhnehmen weggekommen bist, weil du schlicht anderes zu tun hattest :)) Glück gehabt! Juhu!
Liebe Grüsse :)


Irka hat gesagt…

ein toller Text von einer wunderbaren Frau (auf einem schönen blog...) Danke fürs Teilen :)

irka

Ina hat gesagt…

Hi, habe deinen Text gerade gelesen & finde es ganz toll, dass du jetzt so viel liebenswerter mit dir umgehen kannst :)