26 Oktober 2008

Märchentage und der liebe Gott

Mein Wildehemann und ich besuchten gestern die Reichelsheimer Märchen- und Sagentage. War wirklich schön, und einen großen Mittelaltermarkt hatten sie da, der nicht mal Eintritt kostete.

Wir haben uns einen Film von Larissa Anton über die Sagen und Geschichten rund um die Ruine Rodenstein angeschaut. War nett gemacht, alles mit Laienschauspielern, sehr sympathisch. Da so schönes Wetter war, haben wir ansonsten keine Indooraktivitäten wie das Heimatmuseum mit einer Sonderausstellung zu Andersweltwesen, diverse Märchenvorführungen oder Vorträge angesehen. Dafür sind wir zum Schloss Reichenberg hinaufgewandert, um dort an einer Führung teilzunehmen.

Na ja, was soll ich sagen - das war leider eher eine Enttäuschung. Ich fand es zwar spannend, mal dieses Schloss von Nahem zu sehen - ich hatte bisher von weitem immer gedacht, es sei ein moderner Bau aus dem 18. Jahrhundert oder so, dabei stammen die ältesten Teile aus dem Mittelalter - aber die Führung hat genervt.

Das Schloss gehört der "Offensive junger Christen", einem ökumenisch-evangelikalem Verein, und wird von denen auch renoviert und wiederaufgebaut. Dabei kommen junge Christen aus aller Welt zusammen, u. a. um da rumzuwerkeln und sich kennenzulernen. Ist ja alles prima, finde ich prinzipiell (ohne das Beigeschmäckle von religiöser Indoktrinierung) sehr lobenswert. Ich finde es auch völlig in Ordnung, wenn der Veranstalter einer Führung, auch einer von dem Verein, wenn auch sicher schon 50 Jahre kein "junger" Christ mehr, davon erzählt.

Allerdings erzählte er so gut wie gar nichts über das Schloss und seine Geschichte (außer, dass die Kapelle dort oben eine Michaelskapelle ist und angeblich auf einem alten germanischen (?) Kultplatz erbaut wurde - das muss ich mal recherchieren), einiges über die tollen offensiven Christen und ganz, ganz viel über den lieben Gott und das tolle Christentum.

Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht zu der "Odin statt Jesus"-Fraktion gehöre, die anfängt zu geifern, wenn sie ein Kreuz sieht. Wie ich an andere Stelle kürzlich schrieb, sehe ich in Christen eher Verbündete gegen einen materialistischen und inhumanen Zeitgeist, der das Seelenheil in Euro und Dollar ausdrückt. Die wenigen "verstrahlten" Exemplare à la schwulenhassende Evangelikale sind für mich ähnlich bedauerlicheAusnahmen wie Neonazi-Asatrus.

Wenn ich mir allerdings 20 Minuten lang anhöre, dass ja ohne das Christentum die Welt in Barbarei steckengeblieben wäre, und wir, der Herrgott möge es behüten, am Ende vielleicht gar, schauder, Moslems geworden wären, und dass an allen Problemen mit Kiddies heutzutage nur mangelnde christliche Erbauung schuld ist und diese unchristlichen, per se labilen Partnerschaften, wo ja die armen, armen Kinder am Ende bei alleinerziehenden Eltern landen, dann geht mir das Messer in der Tasche auf, wie mein Vater immer sagte.

Zum einen, weil das meiste, was der quatschte, einfach historisch zweifelhaft bis falsch war. Die ollen Griechen, Römer und Ägypter hatten einen wesentlich höheren kulturellen Standard als das (christliche) barbarische Frühmittelalter, den Islam hätte es ohne das Christentum in der Form, die auf Expansion ausgelegt ist/war, vielleicht nie gegeben (und wenn?), und alleinerziehende Mütter sind kein Phänomen der letzten 10-20 Jahre, sondern etwas, was es durch die vielen Kriege (... oft in Gottes Namen...) leider immer wieder als Massenphänomen gab, so Frauen und Kinder nicht gleich von marodierenden Söldnern mitgemeuchelt wurden.

Gute Christen haben sich im 30jährigen Krieg gegenseitig umgebracht, die Inquisition hat Juden und "Hexen" verfolgt, in Gottes Namen wurde die amerikanische Urbevölkerung fast ausgelöscht. So sicher, was Mord, Totschlag und sexuelle Gewalt angeht, wie wir heute leben, lebten wir wohl noch nie hier. Und das, obwohl viele nicht mehr so fromme Christen sind wie früher (wenn die Menschen es denn je waren...).

Ich hatte zum anderen das ätzende Gefühl, unter dem Mäntelchen einer Burgführung sollten ich und die anderen Teilnehmer christlich indoktriniert und manipuliert werden. Und das nicht nur, weil uns alle drei Minuten mit dem Infoblättchen zum Verein und seinen Veranstaltungen ("Kommen Sie doch auch mal, kommen Sie doch auch mal!") vor der Nase rumgewedelt wurde.

Deshalb haben wir uns dann auch abgesetzt, als das Thema auf christliche Ehevorstellungen kam, bevor wir uns auch noch anhören mussten, dass wir als unchristliches Paar ja sowieso unglücklich sein müssen...

Wie auch immer - mit Märchen und Sagen hatte diese Führung nur etwas zu tun, wenn man sarkastisch sein will...

Gnarf.
Hoffentlich hat sich das wenigstens kein Moslem anhören müssen...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Bodecea
Dein Text spricht mir vollkommen aus dem Herzen, das hätte mich auch genervt und genau aus diesen unchristlichen Taten der Kirche habe ich vor Jahren dem Buddhismus zu gewannt. Jesus würde sich im Grab umdrehen, wenn er die mit der heutigen Kirche sehen würde.
Liebe Grüsse zentao

Solitaire13132 hat gesagt…

Hallo Bodecea,
oh, wenn ich mir das so durchlese, bin ich froh, nun doch nicht zu den Märchentagen gefahren zu sein (ich hatte sie schlichtweg ob der aktuellen Ereignisse verpeilt) und gegenwärtig reagiere ich sowieso auf frömmelnde Zwangsbekehrung aus dieser und ähnlicher Ecken allergisch.

Ich finde, es sollte jedem selbst überlassen sein, welchen Glauben er lebt/wählt und ein großes Stück mehr Toleranz wäre im 21. Jhd. angebracht, denn Tod und Blutvergießen im Namen Gottes (????)hatten (und haben) wir immer noch genug.

Liebe Grüße
Solitaire