23 Mai 2006

Wunjo

Diese Rune hat mich einiges an Zeit und vergeblichern Ansätzen gekostet. Zuerst dachte ich, sie sei ein weiteres Synonym für Wu Wei, fließen lassen, mit Freude und Ekstase im Hier und Jetzt leben. Doch schien es mir nicht ganz stimmig, und als ich an meinem liebsten auf-der-Wiese-sitzen-und-chillen-Platz versuchte, von der dortigen hohen, wunderschönen Fichte einen Zweig zu finden, musste ich ohne Erfolg abziehen; die Äste begannen zu weit oben, und unten fand ich nichts.

Dann schob sich auch noch eine graue Wolke schlechter Stimmung vor die Rune. Gemäß meines zyklothymen Gemütes geschieht es mir immer wieder, dass kleine, an sich belanglose Ereignisse mich in eine tiefe Niedergeschlagenheit katapultieren können – genauso, wie ich trotz Belastungen und ohne besonderen Grund fast schon manische Hochs erlebe, oft ausgelöst durch eine Kleinigkeit. Die letztes Zeit war vor allem beruflich sehr frustrierend gewesen und so brauchte es nur noch einiger Kleinigkeiten und - alles wurde grau. Ich konnte die letzten Wochen regelrecht spüren, wie sich meine Chakren schlossen, eine längst vergessene Mauer (Iss...) sich um mich schoss und ich oft als verkrampfter, verspannter Haufen Elend durch die Gegend stolperte.

Aber als ich heute losging, dachte ich mir, gerade wenn alle Wonne so fern scheint, sollte ich sie suchen! Ich bat wie oft vor meinen Runenwanderungen Odin darum, mir bei der Suche zu helfen. Kaum hatte ich diese stumme Bitte gedacht, kam ich an einigen gefällten Fichten vorbei, die mir passende Äste freundlich darboten. Dankeschön, das fängt ja gut an, dachte ich ohne Ironie und brach einen passenden Ast.

Ich lief weiter und grübelte nach, wieso ich mich zurzeit so weit weg und ganz und gar unwonnig fühle. Eine leise Stimme in mir riet mir plötzlich – überleg doch mal, wann fühlst du denn Wonne? Beim Sex, dachte ich, oder auch bei einer langen einsamen Wanderung, wenn ich plötzlich aus dem Wald trete und sich die Landschaft vor mir öffnet. Bei einem mit gesunden Appetit genossenen grandiosen Essen. Dann, wenn ich in der Sonne liege und der Wind mir zart über die Haut streift, oder auch, wenn ich im Sturm stehe und fühle, wie alles Alte und Muffige fortgeweht wird... ach ja, und beim Sex.

Und, bohrte die kleine Stimme weiter, was haben all diese Situationen gemein? Mir ging ein Licht auf - dies sind alles Situationen, wo Geist, Seele und Körper ohne jede Feindschaft und Verkrampfung in Einklang sind! Mir wurde auch klar, wieso ich in den letzten Wochen so Probleme mit meinem Tai Chi hatte – ich versuchte, meinen Körper wie eine unwillige Marionette fernzulenken und schämte mich für ihn, wenn er nicht anmutig ausführen konnte, was ich wollte. Rede mit ihm, oder besser, ihr! riet die kleine Stimme.

Ich sprach leise zu meinem Körper. Sie reagierte unwillig. Wie schön, sagte sie, dass du mal an mich denkst! Ich muss immer deine ganzen Seelenqualen und Hirngespinste ausbaden, und das ohne jeden Dank. Du schämst dich für mich, weil ich nicht so aussehe, wie es Normen suggerieren, die du verachtest. Du zwingst mich, Alkohol zu trinken, in unbequemen Stellungen stundenlang zu verharren und auf Bildschirm zu glotzen, du gibst mir ungesundes süßes Zeug zum Verdauen, und du bewegst dich nicht so viel, wie ich es möchte. Und dann wunderst du dich, wenn ich kein Quell ewiger Wonne bin und mein Magen mal wehtut oder das Herz zu schnell klopft! Ohne meine Hormone, meine Botenstoffe und mein ganzes Sein kannst du sie nun mal nicht fühlen, deine Wonne. Ohne mich bist du gar nicht da, und trotzdem behandelst du mich so stiefmütterlich. Aber ich mach auch nicht einfach, was dir grade passt.

Etwas überrumpelt versuche ich, die Stimmung zu verbessern. Gerade machen wir doch einen schönen Spaziergang, nur wir ... oder? Und ich versuche, dich dabei zu fordern, wie du es magst, ohne dir zuviel abzuverlangen. Ich weiß, ich mag dich nicht immer, aber du weißt, ich ernähre uns gut und meist gesund, ich trinke viel weniger als früher, ich rauche nicht mehr, und von dem ganzen Diätquatsch verschone ich dich auch.

Und trotzdem, murmelt mein Körper, muss ich alles ausbaden. Ob Glück und Schlaflosigkeit oder Trauer und Bauchweh – ich krieg es immer ab. Dabei bist du so dreist und rufst bei deinen Zaubern die Erde als feste, baumhafte Körperfraugöttin, stark und dick. Deine starken festen Bein dagegen wünschst du dir schlanker. Was willst du überhaupt?

Mit dir wieder Freundschaft schließen, denke ich. Mein Körper brummt leise, aber es klingt nicht mehr so unfreundlich.

Das mag ja noch keine Wonne sein, aber zumindest der erste Schritt in die richtige Richtung! Und selbst mein erster Gedanke, Wunjo als ausladenden Busen einer üppigen Frau zu deuten, bekommt Sinn.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

wie immer sehr gelungen :)

hephaestos

Anonym hat gesagt…

*knutsches*
war das schön zu lesen :-)
LG BärenSchwester

Anonym hat gesagt…

einen wunderschönen guten tag wünsche ich,

über wohl von nornen gewobene schicksalsfäden bin ich zufällig auf diesen blog geraten, und wurde gleich von überwältigendem interesse gefangen genommen

auch wenn mich die beschreibung "einer garstigen, hühnenhaften frau" ein bisschen geängstigt hat (weil ich doch eher ein kleines, schutzbedürftiges mädchen bin), würde ich gerne in die geheimnisse des runenschnitzens eingeweiht werden und hoffentlich noch viel von diesem blog lernen.

mit freundlichen, ergebenen grüßen
sera

Anonym hat gesagt…

Auch ich lese hier immer wieder fasziniert von Deinen Runenerlebnissen, und habe schon viel dabei gelernt. Einfach mal wieder ein Danke, fürs Teilen, Niederschreiben und Mitteilen.

Liebe Grüesslis
Grainne

Bodecea hat gesagt…

Vielen lieben Dank für eure netten Kommentare! Das freut und bestärkt mich wirklich sehr.

Alles Liebe
Bodecea