„Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.“ (Lukas 6, 37).
Eine Astrologin sah sich letztes Jahr mein Horoskop an. Sie deutete auf die Sonne, die eng umschlungen mit dem Merkur, aber ohne Verbindungen zu allen anderen Aspekten im fünften Haus im Skorpion saß. Sie erklärte mir, dass dieser Aspekt es mir – bei all meinen turbulenten Zwillingsmonden und 12.-Haus-Besetzern – ermögliche, im Innersten stabil, moralisch und selbstbestimmt zu bleiben und mich meinen Lieblingsthemen Selbstverwirklichung, Kreativität, Erotik und Vergnügen zu widmen. Ja, das könne sich im Extremfall dahin ausweiten, dass ich als absoluter Sturkopf keinerlei andere Ansichten annehmen möchte oder kann.
Stimmt.
Und ich bin recht froh drum. Ich schaffe es schon selbst ganz gut, mich und mein Leben häufig einer quälenden, verurteilenden Selbstanklage auszusetzen. Ich kann oder will nicht „positiv denken“ und mir eine erfolgreiche Powerfrau heranvisualisieren, die ich nicht bin. Aber langsam kann ich mich immer öfter mögen, wie ich bin – mit Doktortitel, aber ohne Job, mit Partner, aber ohne Kinder, mit großer Wohnung, aber ohne Einkommen. Und mit vielen Ideen im Kopf und freien Blick auf den Himmel.
Aber mein Umfeld trägt immer wieder an mich weitere „du solltest aber“, „willst du nicht endlich“ und „aber du musst doch“ Vorstellungen heran, die mich nerven. Ich bin mit meinem Leben generell recht zufrieden, auch wenn es Bereiche gibt – Geld und Beruf vor allem – die verbesserungsfähig sind. Und ich bemühe mich drum, ohne mir den ganzen Tag deshalb gramvoll die Haare zu raufen. Andere, wie die Partnerschaft, sind absolut schön. Und ich bin in vielen Punkten nicht sehr zielorientiert. Kinder oder nicht? Das ist mir eigentlich egal, ich kann mir bei beiden Alternativen ein schönes Leben vorstellen. Gutbezahlter Job oder Durchwurschteln? Nichts gegen Geld und berufliche Anerkennung, aber so ein Job frisst so viel vom Leben – Leute, ich sehe es doch! - dass die Alternative auch ganz süß schmeckt.
Leute, die mir einreden wollen, ich müsse aber Karriere machen oder machen wollen oder Kinder haben – oder zumindest wollen. Oder aber keinesfalls welche wollen. Oder dies tun. Oder das tun. Man kann doch nicht, sagen sie kopfschüttelnd, ganz anders leben, als ich das tue – oder zumindest tun will!
Das nervt mich.
Und ich dachte immer, es nervt mich – vor allem – deshalb, weil die Leute damit auf meine Schwachstellen stoßen, mit denen ich mich ungern (wenn auch oft...) auseinandersetze.
Gestern habe ich darüber nachgedacht.
Ich glaube, diese Sachen sind gar nicht so sehr Kritik an dem, was ich tue oder nicht, oder Hilfestellungen, sondern eher Selbstrechtfertigungen. Jeder, der einen Lebensstil pflegt, möchte sich beweisen, dass er oder sie das richtige tut. Und dazu gehört, dass andere Lebensstile falsch sein müssen. So schaut mich der erfolgreiche Manager mit Kind kopfschüttelnd an. Und redet mir einen halben Abend lang ein, ich müsste zumindest mal in meinem Garten einen Baum fällen, weil ER die Aussicht ohne schöner fände.
Ich glaube, diese Ver- und Beurteilungen nerven mich nicht zuletzt auch, weil ich mich darin wiedererkenne. Gut, ich habe mir zu einem großen Teil abgewöhnt, Leuten ungefragt Ratschläge zu geben. Und ich bin, glaube ich, halbwegs tolerant, was andere Lebensentwürfe und Lebensstile als meinen angeht.
Aber oft erwische ich mich noch dabei, wie ich alleine, mit einer Freundin oder mit meinem Partner zusammen den Kopf schüttele. Der Ding, warum macht der das so und nicht so. Und warum macht die Bumms nicht das. Wieso hat der so viel X und so wenig Y. Warum beschäftigt sich die nicht mal mit Z.
Ich habe beschlossen, mich in diesen lauten und leisen Urteilen mehr zurückzunehmen. Wer weiß, ob damit auch andere mich zukünftig wieder ein bisschen mehr als ganzen Menschen denn als (defizitären?) Merkmalsträger sehen, wenn ich auch ihnen wieder mehr in dieser Form entgegentrete.
Zumindest wird es mir sicher leichter fallen, mich urteilsfreier zu betrachten.
2 Kommentare:
Finde ich toll, deine Überlegungen, und ich wünsche dir viel Erfolg bei der Umsetzung! In jedem Fall, egal was es sonst noch mit sich bringt, ist man damit eher in der Position, den Nörglern einfach etwas von leben und leben lassen entgegenzusetzen. Und das macht Spaß. ;)
Du bist klug :)
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