Thurisaz

Diese Rune hat mich auf Anhieb angesprochen, nicht zuletzt, da sie einen so zweifelhaften Ruf hat – die stärkste Rune soll sie sein, Riesenrune, Thorrune, Trollrune, mächtig im Schadenszauber und gefährlich für den, der sie benutzt. Wie die Dornenhecke, deren Namen sie auch trägt (Thurisaz = Dorn), kann sie ebenso gegen fremde Einflüsse von außen schützen, wie auch Dolch und Angriff sein.

Aber was, fragte ich mich, ist die Quelle dieser Macht?

Der Baum, dem diese Rune zugeordnet ist, ist der Schleh- oder auch Schwarzdorn. Manche Autoren ordnen auch den Weißdorn oder andere Bäume zu, doch der Schlehdorn mit seinen scharfen, langen Dornen und den sauren kleinen Früchten - die Vorläufer all unseres heutigen Steinobstes! – schien mir am passendsten zu sein. „Zufällig“ hatte ich gerade einen Fantasyschinken gelesen, wo die Maikönigin mit Schlehdornblüten bekränzt wird – eine interessante Ergänzung zu der dornigen, sauren Urfrucht!

Ich setzte mich unweit einiger mir bekannter Schlehdornbüsche auf eine Bank und ließ den Blick über die herbstlich-diesigen Wiesen und Wälder schweifen. Die Blätter beginnen hier gerade, also Mitte Oktober, sich zu verfärben, die Felder sind abgeerntet, die Wiesen noch saftig grün. Die Sonne hat noch Kraft und scheint golden herab, doch Samhain ist nahe und die anderen Welten sind nah. Odin, denk ich, magst du mir verraten, was die Macht von Thurisaz ist? Was für eine Kraft kann es sein, die so mächtig ist, so gefürchtet und doch so gefährlich für den, der sie inne hat?

Ich dachte nach und begann, ein wenig herumzuschmieren, und daraus wurde ein Gedicht. Und ich verstand - nur in der tiefsten Dunkelheit findet man die Waffe gegen die tiefste Dunkelheit.

Ist es schön dort auf den Wellen
Der tiefen, tiefen kalten See?
Hast du Angst, hier zu zerschellen?
Tut dir gar die Strömung weh?

Wagst du es, den Blick zu senken
In die tiefe Dunkelheit?
Niemand kann dort Schiffe lenken,
Und niemals lockt dort Sicherheit.

Schließ die Augen, lass dich fallen!
Habe zu dem Tauchgang Mut.
Lass um dich die Haare wallen,
Tauche ein in diese Flut.

Monster werden sicher lauern!
Feenkönige – vielleicht.
Niemand wird dich hier betrauern
Niemand sagt, der Weg sei leicht.

Hast du Angst vor deinen Schmerzen?
Zeigst du Feigheit vor dem Feind?
Hier siegt nur der mit starkem Herzen,
Das Licht und Dunkelheit vereint.

Sinke, sinke, erst ganz unten
Ist die Aufgabe vollbracht,
Erst wenn du ganz überwunden
Der Seele allerschwärz’te Nacht.

Hier unten wohnen alte Riesen.
Aus ihnen ist das Urgestein.
Fern sind hier Wälder, Städte, Wiesen...
Hier bist du wirklich ganz allein.

Find dich selbst im tiefsten Grunde!
Finde deine wahre Macht,
Und sei nun ab dieser Stunde
Die Schlehenkönigin voll Pracht.

Nachtrag: Schlehenholz ist so was von hart! Na, das passt aber auch. Gut beschnitzen kann man es trotzdem.