Ich war 15, und es war mein erster Auftritt auf einer Theaterbühne. Wir spielten mit dem Schultheater ein ambitioniertes sozialkritisches Jugendstück namens "Diesseits des Regenbogens". Meine Mutter holte mich danach mit dem Auto ab, und als ich in den Wagen stieg, sagte sie - du, die Mauer ist offen!
Die Wochen zuvor habe ich sehr interessiert die Vorgänge in den Botschaften, in Ungarn und die Montagsdemonstrationen verfolgt. Es lag etwas in der Luft. Meine Eltern kamen selbst ursprünglich aus der DDR und waren kurz vor dem Mauerbau "abgehauen"; wir hatten aber Bekannte und Verwandte "drüben". Wir fragten uns, was wohl passieren würde, ob das SED-Regime die friedliche Revolution wohl niederknüppeln würde, wie beim Volksaufstand 1953, den meine Eltern mit 19 miterlebt hatten.
Ich war wirklich froh, als ich hörte, dass alles unblutig ablief, dass Verwandte und Bekannte in Sicherheit waren. Außerdem öffnete sich ja auch nicht nur dem Osten die Welt Richtung Westen, sondern auch dem Westen der Osten - das wird oft vergessen. Es war ja vorher kaum möglich, sich als Westler unregelmentiert im Osten herum zu treiben. Ostberlin war Feindesland, und wenn wir dort waren, hatte man angesichts der ganzen Vopos, der Grenzkontrollen und der paar Bravos, die man schmuggelte, immer eine dumpfe Angst im Bauch.
Ich sehe es heute mir Erstaunen, wie die Ostalgie die DDR heute verkitscht, als wäre alles nett und lustig gewesen, FKK und Sandmännchen, Ostschokolade und ein Kessel Buntes. Ich habe die DDR als sehr bedrückend erlebt, und ich weiß, dass auch unsere Bekannten dort es so empfanden außerhalb der kleinen heilen Welt ihrer Nachbarschaft. Man musste immer aufpassen, nichts falsches sagen, ein kleiner Witz in der Öffentlichkeit, und schon drehte man ängstlich den Kopf, ob das nicht wieder der Falsche gehört haben könnte.
Ostberlin war grau, trostlos, die Läden leer, die Schlangen davor oft lang.
Eine Freundin behandelt in ostdeutschen psychosomatischen Kliniken Menschen, die durch Stasifolter traumatisiert wurden und bis heute leiden.
Einmal wurden Briefe von unseren Bekannten abgefangen, wo sie etwas von einem "Herrn Meier" erzählten, der bei ihnen im Garten in der Gartenhütte lebte. Die Stasi schnüffelte in der Nachbarschaft herum, stellte Fragen.
Dabei war Herr Meier eine Ziege.
Aber ich muss gestehen, die Euphorie des Mauerfalls schwand in den Monaten danach bis zur Wiedervereinigung; einmal wurde man in der Schule etwas sehr ausgiebig mit dem Thema bombardiert, und mich nervte es an, dass mein politisches Feindbild Helmut Kohl die ganze weitere Vereinigung an sich riss, und außerdem hatte ich mit 15-16 ganze andere enorm wichtige Dinge zu tun - mich verlieben, mich die ersten Male betrinken, Partys feiern und Löcher in meine Jeans schneiden.
Und du?
Was hast du am 9.11. 1989 gemacht?
7 Kommentare:
Ich war zu Hause, vor meinem DDR-Fernseher, meine Töchter waren im Bett und schliefen.
Ich finde gar nicht, dass die DDR verkitscht wird, sondern es ist eher die Erinnerung daran. Wir haben uns damals eingerichtet. Ich, Jahrgang 63, bin damit aufgewachsen, mit dem Wissen nie ins nichtsozialistische Ausland reisen zu dürfen, und dass es viele Dinge nicht, oder nur mit Beziehungen gibt. Das manche Dinge sehr teuer waren (eine Feinstrumpfhose 14 Mark, Kassettenrekorder (Mono) 600 Mark), aber dafür die Lebenshaltungskosten sehr günstig.
Wir haben gelernt aus nix was zu machen, und ganz sicher waren wir keine Trauergesellschaft! Und ja, ich erinnere mich gerne zurück, an den Trabbi, den Wartburg, die Rahmbutter, die Puppen die fast alle Sonja hießen, an Schulspeisung und Ferienlager.
Es sind meine Wurzeln.
Etwas so um die 18 Jahre habe ich gebraucht um zu begreifen, dass das für mich wichtig ist, weit weg von meinen Wurzeln, in Bremen, einer Stadt, mit einer völlig anderen Geschichte konnte ich mich nicht zu Hause fühlen, hier in Leipig ist es anders. Auch wenn ich von der Ostsee komme, habe ich hier das Gefühl zu Hause zu sein, eben wegen der gleichen Geschichte.
Ich will auf keinen Fall irgendwas schön reden, bin ja selber ständig angeckt, doch es war eben nicht alles Mist.
So kaufe ich heute wieder Sonja (Magarine), nicht nur weil sie günstig ist, sondern vor allem weil damit vieles wie früher schmeckt. Ich trinke Rondo-Kaffee weil er schmeckt und ja, auch wegen der Erinnerung, nur dass jetzt ein Pfund 3,33 Euro kostet und nicht ein halbes Pfund 8,75 Mark.
Dinge wie das Ampelmännchen, das Sandmännchen, das Kessel Buntes etc. sind ein Stück unserer Indentität.
Hups jetzt hab ich einen Roman geschrieben ...
Liebe Grüße
Esme
Huhu eEsme,
das ist ja auch das falsche Wessiklischee, zu denken - ach, die armen, armen doofen Ossis... *g*. Und manchmal vergisst der Westen auch seinen saloppen Umgang mit seinen Naziverbrechern in den 50ern/60ern, was ja alles "dank" kaltem Krieg in den Hintergrund rückte.
Aber man darf auch nicht vergessen, finde ich, dass die DDR nun mal eine Diktatur war, die ihre Bevölkerung in Unfreiheit hielt.
Ich fand das Zitat hier gut:
"Und man könnte über die These von Frank Schäfer diskutieren, Szenefriseur in Prenzlauer Berg: Wenn Ossis sich an die DDR erinnerten, werde oft vergessen, dass sie sich an ihre Jugend erinnerten. "Nehmen Sie mich: Ich war hübsch. Ich war jung. Ich war schwul und überall der Hit, wo ich auftauchte. Soll ich das mit dem Leben von heute vergleichen?" Die Leute verwechselten die DDR mit ihrer Jugend.."
http://www.zeit.de/2009/46/DDR-46?page=all
Ich war damals 24, lebte noch in der Schweiz und verfolgte alles übers Fernsehen. Ich muss gestehen, bei mir ist ist die Grösse des Tages so nicht angekommen, obwohl mich das Thema sehr interessierte. Ich dachte mir eher so, "ok, gibts halt mal ein Tag Reisefreiheit, vielleicht pendelt sich das dann in der Richtung ein, dass die Grenze ein wenig durchlässiger wird." Für mich war eigentlich erst die Wiedervereinigung der eigentliche Mauerfall.
Dass die Geschichte nun ausgerrechnet Helmut Kohl so ein Geschenk gemacht hatte, ärgerte mich auch. Man muss allerdings auch sehen, dass wohl jeder andere Kanzler die Chance zur Einheit hätte verstreichen lassen, denn damals war das Thema ein Tabu und wer auch nur laut in diese Richtung dachte, galt fast schon als Nazi. Da brauchte es wohl einen trampeligen Elefanten wie Kohl, der entgegen dem damaligen Konsens bezüglich des Status von Deutschland einfach Augen zu und durch machte.
Ich lebte damals an einem Ort, an dem die Uhren ein wenig anders gingen - und habe das alles darum erst mit einem Tag Verspätung mitbekommen... ;-)
Ich weiß nicht obs genau der 9. war aber wenn dann ziemlich zeitgleich...ich bin mit meinem damaligen Freund und noch ein paar anderen gröhlend durch Bochum Harpen gelaufen, und ich trau mich ja fast gar nicht zu sagen was wir die ganze Zeit gerufen haben....ich sag dazu mal wir waren angetrunken, ist vielleicht dann nicht ganz so bescheuert: Baut die MAuer wieder auf! Wir fanden das damals lustig, hat auch keiner was zu gesagt...
Ähm ja, ich war 14 und mir war das alles sehr egal, ich kannte die DDR nur ausm Fernsehen, als Dunkeldeutschland halt.
Ich hab vom Mauerfall nicht allzu viel mitgekriegt, kann mich nur an das Gefühl erinnern: Jetzt passiert was Weltgeschichtliches.
Aber ich mag, wie Du schreibst und musste an Dich denken, als ich das hier las: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/490492
Die verlegen wohl nicht nur Studenten, sondern vor allem junge Autoren. Wäre vielleicht einen Versuch wert...
ich fand es damals merkwürdig, das es plötzlich so schnell ging, plötzlich Leute auftauchten, die man vorher nicht gesehen hatte (Kohl), wie sich die Demos änderten (Von "Wir sind DAS Volk" zu "Wir sind EIN Volk").
Ich werde nie die Windjacken der Stasimänner vergessen, die überall dabei waren, ob beim Friedensmarsch oder den Montagsdemos. Ich war 16.
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