Mir macht es meistens wenig aus, nicht viel Geld zu haben, das gebe ich offen zu. Ich wollte schon immer ein Bohemien, Hippie oder Peter Lustig sein. Luxus hat mich noch nie interessiert. Ich habe, was ich brauche, und für mich wiegen die Vorteile meiner „armen“ Lebensweise zurzeit mehr als die Nachteile. Ich und mein Partner leben, ohne staatliche Unterstützung zu beziehen, finanziell ungefähr auf Hartz-IV-Niveau.
Trotzdem macht mich Armut jeden Tag neu wütend. Weniger, weil es nur mich selbst betrifft – das natürlich auch - sondern vor allem bezogen auf das, was ich jeden Tag sehe oder höre oder lese.
Wütend sein
Es macht mich wütend, wenn manche Menschen hunderte von Euro pro Stunde verdienen und gleichzeitig jammern, dass andere doch tatsächlich nicht für 2 Euro 50 schuften wollen.
Es macht mich wütend, wenn ein Uniprofessor, den in vielen Aufsichtsräten sitzt/saß, ausrechnet, dass ein Hartz IV-Empfänger von 2 Euro am Tag locker satt werden müsste.
Mich macht es wütend, wenn besagte Studien dem Armen nicht mal ein bisschen Schnaps gönnen wollen, um sich sein Elend schönzusaufen.
Es macht mich wütend, wenn in vielen Ecken der Welt Menschen direkt neben neuen Luxushotels verhungern.
Es macht mich wütend, wenn ignorante Kreuzfahrttouristen denken, in manchen asiatischen Ländern würden die Kinder deshalb draußen auf der nackten Erde unterrichtet, weil da die Luft besser ist.
Es macht mich wütend, wenn die, die Job und Geld haben, herumtönen, was für ein Abschaum jene sind, denen es nicht so geht.
Es macht mich wütend, dass selbst intelligente Menschen unhinterfragt nachplappern, dass Arbeiten selbstverständlich in jedem Leben das Zentrum zu sein hat.
Es macht mich wütend, wenn arme Menschen inzwischen wieder an Zahnlücken und anderen Zahnschäden zu erkennen sind, weil sie sich die guten Behandlungen nicht leisten können.
Es macht mich wütend, wenn Ärzte ihren Privatpatienten teure, aber oft nutzlose Pillen aufdrängen, während der Kassenpatient wochen- und monatelang auf Behandlungen warten muss.
Es macht mich wütend, wenn manche Menschen resignieren und sich schämen, zuzugeben, dass sie arm sind und/oder von Hartz IV leben müssen.
Es macht mich wütend, wenn Grundbedürfnisse wie essen oder eine Bahnfahrt so teuer werden, dass viele sich diese einfachsten Dinge kaum noch leisten können.
Mich macht es wütend, wenn viele Politiker und sogenannte Experten so tun, als sei die neoliberale Marktwirtschaft in der heutigen Form etwas, das wie die Schwerkraft oder die Evolution ein Naturgesetz ist, dem man nicht zuwiderhandeln kann, oder, wie einem Gesetz vom lieben Gott, nicht zuwiderhandeln darf.
Mich macht es wütend, wenn ich mal wieder erkenne, dass viele Wirtschaftswissenschaftler nach Kriterien der „Wissenschaftlichkeit“ vorgehen, die sich eher an Esoterik orientieren als an den wissenschaftlichen Kriterien, die für jeden kleinen doofen 19jährigen Soziologiestudenten gelten, der eine Hausarbeit schreibt.
Mich macht es wütend, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer.
Mich macht es wütend, dass Konsumieren wider alle ökologische und soziale Vernunft weiterhin als das Nonplusultra des Lebens gepredigt wird.
Mich macht es wütend, wenn Menschen in diesem unseren reichen Land vor Läden Schlange stehen, wo sie ein bisschen Brot oder Gemüse, Spielzeug oder Kleider umsonst bekommen.
Mich macht es wütend, wenn ich in einer reichen Kleinstadt die Menschen sehe, die im Winter jeden Tag in der Stadtbibliothek sitzen und Zeitung lesen, weil es da warm ist.
Mich macht es wütend, wenn ein Kumpel wegen eines kleinen bürokratischen Fehlers seinerseits de facto in die Obdachlosigkeit rutscht und nur mit viel Mühe und Hilfe da wieder rauskommt.
Es macht mich wütend, wenn es Überlegungen gibt, die Künstlersozialkasse abzuschaffen, und gleichzeitig die Spitzensteuersätze immer mal wieder gesenkt werden (sollen).
Es macht mich wütend, wenn sich Politiker für gesenkte Arbeitslosenzahlen auf die Schultern klopfen, während der Durchschnittsverdienst im unteren Bereich sinkt und sinkt.
Es macht mich wütend, wenn Promis sich, bleich und bräsig, mit halbverhungerten „exotischen“ Babys fotografieren lassen oder sie gleich mitnehmen, um ihre Popularität zu steigern.
Mich macht es wütend, wenn es der Weltgesellschaft am Arsch vorbeigeht, wenn Krieg und Elend in Ländern herrscht, in denen es kein Öl oder Gas gibt.
Mich macht es wütend, wenn manche Leute mit gutem Gewissen Bio-Flugmangos futtern und eine Energiesparlampe im Flur einschrauben und dann denken, da haben sie aber wieder was für die Welt getan.
Mich macht es wütend, wenn feiste Popen in bestickten Gewändern den Ärmsten und Kränksten dieser Welt erzählen, sie dürften nicht verhüten.
Mich macht es wütend, wenn evangelikale Sekten aus Jesu Botschaft was gegen Schwule oder emanzipierte Frauen herauslesen, aber den unübersehbaren Aufruf zum Teilen seiner Güter „überlesen“.
Mich macht es wütend, wenn Reality-TV Arme als asozial, betrügerisch und dämlich präsentiert, aber verschweigt, wie viele Arme vergeblich bei Ämtern um das Wenige kämpfen, was ihnen zusteht.
Oh, ich bin wütend. Und ich glaube, viele sind wütend.
Aber Wut ist viel besser als Scham oder Angst.
Tragt eure Köpfe hoch!
2 Kommentare:
Danke für die Liste an Gründen. Ja, ich bin auch wütend. Ich will am liebsten die Menschen zur Vernunft zwingen, zu meiner Vorstellung von Vernunft. Einheitslöhne zum Beispiel. Aber trau Dich damit mal an die Öffentlichkeit. Lieber wird weiter das Loblied auf Kapitalismus und Konsum gesungen. Leute wie Merz lernen es nicht und was macht Nachrichten? Dass der seppelige Reich-Ranitzki glaubt, er wär so wichtig, dass es mich interessiert, ob er nen Preis annimmt. Raaaaaaah!
*reichtdirdiehand*
Caroona
Deinen wütenden Argumenten kann ich nur zustimmen!
Leider regiert Geld die Welt, dieser Teufel gehört mal wirklich exorziert!
Grüße,
Nenya
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