Frei flottierender Gesundheitsfaschismus

... ich weiß nicht, wie ich anders nennen soll.

Gerade habe ich gelesen, dass Salvia Divinorum jetzt als "gesundheitsgefährdende Droge" dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt wurde. Siehe you-tube video. Zwar hat man, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, nirgendwo eine Gesundheitsgefährdung durch Salvia feststellen können, aber das Zeug macht ja breit, also muss man es wohl irgendwie verbieten.

Sonst könnte man ja gleich Hanf legalisieren. Wie, das fordern viele Menschen schon seit Jahrzehnten? Sagen, dass es doch sinnvoll wäre, wenn die Mafia nicht mehr dran verdient, wenn kontrollierte Abgabe auch ermöglichen würde, zu potente Sorten vom Markt zu drängen und die Einstiegsdrogengefahr zu vermindern, da User nicht mehr auf die (auch anderes Zeug verkaufenden) Dealer und Szenen angewiesen sind?

Ist doch egal.

Wir legalisieren nichts, nein. Wir verbieten immer mehr, offiziell und inoffiziell. Saufen, sagten ja viele Hanfbefürworter, Saufen ist doch schlimmer als Kiffen! Stimmt, sagt die Stimme aus dem Off. Dann schränken wir doch das Trinken ein. Der olle Goethe hat noch zwei Liter am Tag gegluckert, heute biste bei einem Gläslein am Tag fast schon als Alkoholiker stigmatisiert.

Und das schlimme, böse Rauchen! Das darf man eh kaum noch und wenn, dann gelb diskriminiert.

Fett sein ist aber auch ganz schlimm. Hilfe, alle sind übergewichtig! Nicht, dass sich ein BMI von 25, 26, 27 oder auch mehr negativ auf die Gesundheit auswirken würde, aber wir tun mal so, als sei man damit schon krankhaft fett. Hier, Size Zero, bis dahin hungere dich gefälligst ab, Frau! Und dann weisen wir dich ein, denn dann biste krank. Und ihr Männer, nicht hämisch lachen! Wo ist euer Sixpackbauch?

Und selbst wenn ihr hager-mager seid - entsetzt erzählte mir neulich jemand von "verstecktem Fett". Man könne auch ganz sportlich und gesund und dünn sein, aber trotzdem kleine Fettringlein um die Organe haben. Diabetes, Krebs und qualvoller Tod vorprogrammiert.

Wiegt euch nie in Sicherheit!

Irgendwo las ich auch, man solle am Tag so-und-so-viele Schritte gehen. Ich glaube, das belief sich auf 8-10 km am Tag. Ok, in sehr wanderfreudigen Phasen packe ich das vielleicht mal im Wochenmittel, aber eher selten. Ich kenne wenige nicht-joggende Menschen, die täglich so viel laufen.

Und überhaupt essen wir zu wenig dies und zu viel das, und da ist zu wenig Dings und zu viel Bums drin, und überhaupt.

Wir sind alle fett und faul und schlaff, jawohl.

Macht dich das leicht verstimmt? Oh, wenn da mal keine Depression im Anzug ist! Auf, nimm Prozac! Was, das macht dich jetzt sauer? Das ist sicher eine Aggressionsstörung, hier... und was soll das heißen, du hast seit 4 Tagen keine Lust auf Sex. Frigide? Potenzstörung?

Ich habe neulich auch gelesen, dass mein Spleen, mit den Zehen zu wackeln, jetzt „restless-leg-syndrom“ heißt.

Auf allen meinen Süßigkeiten steht jetzt, wie schlimm viel Zucker und Fett da drin ist. Mit einem Glas Wein und einem Zigarillo ein Stück Torte mampfen? Dann kann ich mir ja gleich "Volksschädling" auf die Stirn tätowieren lassen.

Nicht falsch verstehen - ich finde als Exraucherin Qualmen auch nicht das beste, was man dem Körper antun kann. Ich weiß, das Alkohol schädlich ist. Ich weiß, dass Cannabis bei manchen Menschen und Mengen desaströse Wirkungen auf die Psyche hat. Ich weiß, dass man sich nichts Psychoaktives in die Rübe knallen und dann erwarten kann, die Rübe rübt brav weiter wie bisher.

Ich weiß, dass falsche Essen dick und krank machen kann.

Und ich bin verdammt noch mal der Meinung, dass jeder erwachsene Mensch selbst entscheiden soll, ob er sich etwas, das - vielleicht - ungesund ist, reintun soll oder nicht, solange er das will und anderen nicht sonderlich schadet. Ohne dass man sie als Verbrecher oder krank hinstellt oder in kleine gelbe Bezirke einkastelt.

Und ich glaube fest daran, dass sich die "Ungesundheit" von Süßem, Alkoholischen und Rauchbaren mit dem schlechten Gewissen beim Konsum potenziert. Schließlich ist unsere Nahrung, auch Kräuternahrung für den Kopf, zumindest AUCH etwas Heiliges. Wie finden es wohl die Geister von Zuckerrübe, Salvia und Weizen, von Kuh und Huhn, wenn man sie angeekelt als "böse" und krankmachend bezeichnet, nur weil manche mit ihnen nicht umgehen können?

Mein Freund und ich haben schon überlegt, was jetzt wohl im Namen der Gesundheit und des gesunden Volksempfindens verboten wird – CO2-intensives Pupsen? Mentholreiche Brusteinreibungen? Miefiger Knofikonsum? Glatzköpfe? Leute, die mit sich selbst reden? Stricklieseln und Zeitungsleser?

Kommen die alle dann am Bahnsteig in die gelben Ghettos?

Wollen wir Kranken, Fetten und Süchtigen nicht lieber kleine, rauch- und drogenfreie, fettarme und zuckerfreie, nüchterne und vollwertige, rosa markierte Ghettos für die wenigen Gesundheitsfaschisten eröffnen?

Ich fühle mich widerständig. Gestern beim Einkaufen sah ich in meinen Wagen voller Mohrrüben, Kohl, Mehl, Magerquark und Kartoffeln und dachte, das geht nicht. Das sieht zu gesund aus. Erst, als sich dazu eine Flasche Weinbrand und zwei Tafeln Schoki gesellten, fühlte ich mich besser.