Ich mag jede Jahreszeit. Ich mag die kuscheligen Abende im Winter und tiefen Schnee, freue mich, wenn im Frühling die Natur erwacht und liege gerne im Sommer lange auf sonnigen Wiesen.
Aber lieben, lieben kann ich nur den Herbst.
Als ich heute die Fenster geputzt habe - eine der wenigen Hausarbeiten, die ich ganz gerne und ausgesprochen gründlich mache - sah ich nach tagelangem Regen die Wolken zwischen den Hügeln hängen. Die ersten Blätter an unserer Weinranke werden gelb. Es gab dieses Jahr keinen richtigen Winter, kaum eine Übergangszeit, die man Frühling nennen könnte, und keinen befriedigenden Sommer; aber hier ist er, Freund Herbst. Klopft schon mal an, auch wenn es theoretisch noch wochenlange Hitzewellen geben könnte... er ist auch schon da.
Ich habe immer wieder das Gefühl, jedes Jahr, dass ich im Herbst am meisten ich selbst bin. Als Teenager habe ich massenweise schwülstige Oden an den Herbst geschrieben. Im Herbst kann ich mehr als sonst sein und werden, wer ich bin; nicht quecksilbrig wie im Frühling oder träge wie in Winterdunkelheit oder Sommerhitze, sondern ruhig und bewegt zugleich, auch traurig, aber auf eine Weise melancholisch, die sich nicht so falsch und widerwärtig anfühlt wie in der Faschingszeit, zu Weihnachten oder im Hochsommer.
Ich habe nicht viel Angst vor dem Sterben oder dem, was danach kommt, nur vor Kummer, Leiden und Schmerz für mich und andere in diesem Leben. Aber selbst dem gibt der Herbst eine Würde und Tiefe, die ich sonst vermisse.
Ich mag die Zeit der Ernte, ich mag es, wenn alles weicher wird, nebliger, das Licht zarter und sanfter. Ich mag das Gefühl, einem fröhlichen, heiteren Sterben in der Natur zuzusehen, auch wenn es einen ans Herz greift. Ich mag es, an warmen Herbsttagen, wenn es noch fast Sommer zu sein scheint, spazierenzugehen, oder, später, morgens den ersten Reif zu beobachten, der auf den Weisen funkelt. Ich mag das Rufen der Krähen, ich mag Besuche am Grab meines Vaters, ich mag das Gefühl, ein bisschen loszulassen, auch wenn die Welt mich im saturnischen Würgegriff hält.
Der Herbst gibt mir den Wein, der den Kopf nicht müde macht, und Worte, die ausdrücken können, was ich fühle.
1 Kommentar:
Hach, wie schön!
Ja, ich weiß genau was du meinst,kann deine Worte genau nachempfinden.
Wenn ich auch eher den Frühling liebe ;-)
Mag man eigentlich generell die Jahreszeit am Liebsten, in der man die Welt erblickte???
Alles Liebe,
Amber
Kommentar veröffentlichen