09 November 2006

Berkana


Berkana war die letzte Rune, die ich bearbeiten wollte, und schon wie zuvor bei Othala brauchte ich lange, um den richtigen Moment dafür abzuwarten. Berkana ist dem Baum Birke zugeordnet und steht für das weibliche Prinzip, für Fruchtbarkeit, Geburt und Neubeginn. Auch die Birke ist fest in alte Brauchtumsvorstellungen eingebunden; man denke nur an den Maibaum und das Birkengrün, das bei Feiern zu Beltane/Tanz in den Mai eine so große Rolle spielt. Das B ist der Anfangsbuchstabe meines Nicks, und ich besitze einen Stab – wahrscheinlich und laut dem Freund, der ihn mir anfertigte, aus Birkenholz – mit einer Berkana-Rune daran.

Berkana ist mir sympathisch, auch wenn ich mit dem Themenkreis Fruchtbarkeit und Geburt für mich selbst wenig anfangen kann.. Ich habe sie aber magisch schon für ein Schwangerschaftsamulett verwendet.

Ich hatte eigentlich vage geplant gehabt, für die letzte Rune "back to the roots“ zu gehen und mir einen Ast aus einem kleinen Birkenwäldchen unweit meines Elternhauses zu suchen, wo ich mit 13 oder 14 meine ersten tapsigen Schritte in Richtung heidnische Spiritualität gemacht und auf einem Stein ab und zu ein bisschen was geopfert habe. Aber das schien mir nicht stimmig.

Und so bin ich an einem windigen und sonnigen Herbsttag aufgebrochen, Berkana für mich neu zu entdecken. Besonders gute Laune hatte ich dabei nicht; herbstliche Melancholie hatte sich die letzten Tage angeschlichen und mich gepiesackt. Mal wieder grämte ich mich über Dinge, die mir an meinem Leben nicht passten – der fehlende Job, die mollige Figur, die Tatsache, dass das Leben sich die letzten Jahre nur langsam und zögerlich entfaltet hatte, meine Unfähigkeit, ernstlich Freude darüber zu empfinden, dass zumindest ein wichtiger beruflicher Abschnitt – die Promotion – nun abgeschlossen war und darauf wartete, gefeiert zu werden.

Dennoch sprach ich hoffnungsvoll ein kleines Stoßgebet zu Odin, meine Schritte zu leiten, und ging los. Schnell kam ich diesmal beim Laufen in eine leichte Trance und schaffte es, mein Ich und meine Aufmerksamkeit vom Kopf in den Körper sinken zu lassen, um anderen als intellektuellen Einflüsterungen zugänglich zu werden. Ich dachte darüber nach, was diese Rune für mich bedeutete – als Frau, als „Hexe“...

Aber Berkana erhellte sich nicht. Erst, als ich an einem alten, möglicherweise einst heiligen Flurdenkmal ein paar Blumen und Pilze niederlegte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen – hier endete die Macht Odins über die Runen. Berkana ist die Rune der Göttin, und sie muss ich hier um Beistand anrufen.

Dies tat ich und bat, mir Berkana zu erhellen. Wo war für mich der Neubeginn, das Wachstum, das Frausein? Und schon einige Schritte auf meine Weg weiter drängten sich plötzlich sehr viele Erinnerungen in meinen Kopf – ich kann und will es hier gar nicht ausführlicher beschreiben, aber sie drehten sich um meinen innersten, so starken und verletzlichen Kern, den der Alltagsmüll immer wieder zuschüttete. Ich sah zurück auf viele Momente, in denen ich gute und falsche, dumme und weise Dinge getan hatte. Wo ich aber absolut ich selbst war, frei von jedem Zweifel und jeder Angst. Die Rückschau war so lebendig, dass mir plötzlich Tränen in die Augen traten, und ich fühlte plötzlich intensiv, dass alles zu mir gehört.

Du darfst dich mögen, dachte ich – schon absurd, dass man einen solchen Gedanken als Erleichterung empfinden kann! Du darfst stolz auf deine Leistungen sein, sogar, wenn sie vielleicht nicht 100%ige Perfektion aufweisen können. Du darfst dich so akzeptieren, wie du bist. Auch und gerade, wenn es dunkel um dich und in dir ist.

Berkana ist nicht nur die Rune des Frühjahres, des ersten Impulses, des Wachstums. Man muss nur überlegen, woher kommt die fröhliche Persephone mit dem Blütenkranz, die über die Frühlingswiesen springt? Direkt aus den kalten Händen von Hades. Der junge Spross kommt direkt aus den dunklen, kalten Tiefen der Erde. Und alles leichte, neue, fröhliche in mir kommt aus einem dunklen Ort tief in mir. Berkana, so erkannte ich, steht für mich nicht für die Geburt, sondern die Wiedergeburt. Das Ertragen und freudige Annehmen des ewigen Kreislaufes und den Mut, ihn immer wieder zu gehen – Tag für Tag, Jahr für Jahr, Leben für Leben.

Auf dem weiteren Weg fand ich dann eine Stelle mit Birken. Ich mühte mich durch den aufgewühlten Wald und roch es auch schon – hier waren erst vor kurzem Wildschweine gewesen. Tiere, die der Göttin in nördlichen Regionen oft heilig sind; sie sind stark und mutig, geheim und versteckt, und sie bringen zum Vorschein, was unter der Erde lauert. Nach kurzem Suchen fand ich eine umgestürzte Birke und brach deren dünne Spitze ab, um daraus das Runenstäbchen zu fertigen. Ein Stück Holz mit einem wunderschönen Layrinthmuster fiel mir ins Auge – ich nahm es ein Stückchen des Weges mit und legte es als Geschenk für einen anderen Wanderer auf eine Bank. Immer noch wie in Trance lief ich weitert und freute mich über einen hell blühenden Ginsterbusch – mitten im November!

Als ich schon fast zu Hause war, fand ich einen toten Schmetterling auf der Straße. Tod und Geburt, Geburt und Tod... Und kaum ging ich weiter, fiel aus dem inzwischen bezogenen Himmel ein heller Lichtstrahl auf mich. Ich murmelte einen stillen Dank.

Berkana hat mich genährt und gestärkt. Durch all die Monate hat Odin mich durch die Runen geführt, mich seinen Humor und seine Weisheit schätzen gelehrt. Und nun hat er mich letztendlich zurück zu der Göttin gebracht.

Und hiermit enden meine Runenerkundungen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Und nun will ich Dir noch mal von Herzen "Danke" sagen für Deine Runen-Reisen und für die Offenheit, mit der Du sie geteilt hast! Deine so persönlichen Betrachtungen sind m. E. wertvoller als jedes Runenbuch, eben weil sie die Deinen sind, also nicht übertragbar auf irgendeinen anderen Menschen. Und deshalb herausfordern und anregen, die Runen selbst zu entdecken.

Ich wünsche mir mehr solcher Reiseberichte, von vielen unterschiedlichen Leuten. Aus ihnen würde dann ein Mosaik entstehen, daß die Vielfältigkeit der Runen erahnen läßt.

Meine Runen-Wege habe ich (noch) nicht aufgeschrieben. Es wird wohl Zeit...

Liebe Grüße
Karan