20 März 2006

Jera

„Sie wandelt alles, was sie berührt – alles was sie berührt, wird gewandelt...“

Einen Zugang zu Jera zu finden fiel mir leicht. Die naheliegenden Assoziationen erschließen sich ja auch ziemlich gut – Jera als das Symbol für den Jahrekreis, die Stabilität durch den Wechsel, aber auch den Ausgleich zwischen den Gegensätzen – Tag und Nacht, Sommer und Winter, Yin und Yang (tatsächlich erinnert die Rune an das bekannte Yin-Yang-Symbol). Die Rune steht für die Ernte, die eingebracht wird, aber meiner Meinung nach auch genauso gut für den Neubeginn, die Aussaat.

Durch hartnäckiges Winter-Schneematschwetter behindert, kam ich erst gestern wieder dazu, mir Jera und den zugeordneten Strauch, die Hasselnuss, näher anzusehen. Schon seit ein paar Wochen sehe ich an Straßenrändern die gelben Blütenstände der Haselnussbüsche blühen – wie viele es von den Sträuchern gibt! In unserer Region sind Haselnüsse zusammen mit Holunder die häufigsten Sträucher. So brauchte ich bei einem längeren Spaziergang keine besonderen Anstrengungen zu unternehmen, einen geeigneten Strauch zu finden; ein wenig schwieriger war es jedoch, ein bereits abgetrenntes, aber noch nicht morsches Stück zu finden.

Zur Haselnuss ist zu sagen, dass sie im sogenannten Volksglauben eine sehr große Rolle spielt. Ein Stecken vom Haselholz, zu einer bestimmten Zeit geschnitten, hilft, wenn man den alten Quellen Glauben schenken mag, gegen so ziemlich alles, was böse und gefährlich ist, von der Mäuseplage bis zum Teufel persönlich. Außerdem hat die Haselnuss einen Ruf als (gute oder auch böse) Zauberpflanze, unter der sich HHHHexen ihrem „schändlichen Tun und Buhlen“ hingeben, aus dem man aber auch Wünschelruten schnitzt. Der Haselstrauch ist außerdem in vielen Liedern und Sprüchen als scherzhaftes Synonym für „zusammen in die Büsche gehen“ bekannt. Er soll die Liebe und die Fruchtbarkeit fördern, und besonders viele Nüsse verheißen, so glaubte man, außerordentlich viele Kinder in dem Jahr.

Was an dieser Rune für mich etwas besonderes war- ich rief nicht, wie sonst öfter bei meinen Runenwanderungen, Odin um Beistand und Rat an. Jera ist für mich ganz klar eine Rune, die (nur) der Göttin zugeordnet ist, der Spenderin von Leben und Tod, von Blühen und Welken, der Herrin des Jahreskreises und der Jahrezeiten.

Daher brachte ich ihr auch unterwegs an einer hübschen Quelle ein kleines Opfer. Diese heitere kleine Quelle hat für mich etwas Magisches; ich habe das Gefühl, das dort etwas herumwuselt. Letztes Jahr traf ich dort auch eine hippieske Gestalt, die Wasser abfüllte und mir glaubhaft versicherte, es sei das beste Wasser der ganzen Gegend.

Tatsächlich flog, als ich dort betete, eine kleine Meise heran, setzte sich fast in Reichweite meiner Hand auf einen Ast und begleitete mich mit fröhlichem Gepiepse. Im Laub raschelte es... kleine Leute oder Vögel...

Was ist die Botschaft, die mir Jera mitgegeben hat? Zunächst – man muss die Kraft, die diese Rune ausstrahlt, nicht mühsam suchen. Sie ist - wie Fehu - da, offensichtlich, leicht zu erkennen und nahezu überall. Sie kann dich, wie im Märchen von Aschenputtel/Cinderella, mit ihren Gaben reich beschenken, wenn du in der Lage bist, dich dem ständigen Kreislauf und Wechsel des Lebens anzupassen. Wie im Taoismus geht es darum, biegsam und veränderbar zu sein, neue Zyklen anzunehmen, sich nicht gegen Veränderung zu stemmen, sondern sie geschehen zu lassen. Jera könnte auch ein Wasserrad sein, und wir sind als Teil der Natur das Wasser, das durch die zyklischen Kreisläufe bewegt wird und sich dieser Bewegung anpasst.

Ich habe hier vieles wiedererkannt, was mir in der Tarotkarte „Der Turm“ begegnet ist. Auch im Jahreslauf muss ununterbrochen alles zerstört werden, damit neues entstehen kann – die Blüte welkt und macht so die Frucht möglich, die Frucht fällt ab und verwest und gibt den Samen frei, der Samen bricht auseinander und enthüllt den jungen Sprössling... dieses Aufbrechen – der Rune Ing?!? - um zu wachsen ist für mich die klarste Botschaft von Jera.

Besonders spannend an Jera finde ich zudem den engen Zusammenhang mit dem Jahrekreis und seinen Festen, die die meisten Heiden begehen. Jera ist auch eine Rune der Magie und der Sexualität; diese Punkte sind tief in den Festen eingewoben. Die Art der Magie, die Jera möglich macht, ist die des Lebens an sich; keine okkulte Geheimwissenschaft, sondern das Magische am Leben, das in seinen unendlichen Kreisläufen ununterbrochen wächst und wieder stirbt. Selbst die Zusammensetzung unseres Körpers wandelt sich ununterbrochen, Atome werden ausgetauscht, Wasser fließt durch uns und wird wieder ausgeschieden.

Jera kann die Augen dafür öffnen, dass diese Form der Magie überall ist, auch in uns. Vielleicht wäre es gut, wenn wir wieder beginnen würden, unsere Abschlüsse und persönlichen Wiedergeburten im Lebenslauf intensiver zu begehen. Unsre Kultur kennt nur noch rudimentäre und meist recht unspirituelle Reste von den „rites de passages“, die feierlich einen neuen Lebensabschnitt kennzeichnen. Vielleicht wäre es sinnvoll, einige neue alte Übergangsriten zu entwerfen?

Jera zeigt uns, dass wir uns ununterbrochen wandeln und dass wir, wenn wir dies annehmen, eine sehr reiche Ernte einfahren dürfen. Und so fand ich auch ohne Probleme am Ende des Spazierganges ein schönes Stück Holz, trocken, aber noch nicht morsch.

Und in der letzten Nacht heute träumte ich von – Haselnusssträuchern.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo!

Ich bin auf Ihre Seite gestoßen, als ich mich über Algiz erkundigen wollte.
Ihr Blog hat mich gleich angezogen, wirklich sehr interessant. Ich werde ihren Blog in Zukunft immer wieder gerne lesen! Alles Gute!

Grüße aus Südtirol

Martin (greenthumb@post.com)

Bodecea hat gesagt…

Hallo,

vielen Dank für Ihr Lob! :-)

Grüße aus dem Odenwald
Bodecea