15 Januar 2006

Sowilo

Sowilo

Typisch Rune!

Nach einem Aussetzer von sechs Wochen bin ich heute mal wieder losgegangen, um meine Runenkenntnisse zu erweitern.

Diese relative große Lücke in meinen doch so gern betriebene Erkundungen hatte mehrere Ursachen. So haben natürlich die Feiertage im Dezember, dazu noch Familienfeste wie auch eine Erkältung und widerliches Schneematschwetter die mögliche Zeit für produktive Spaziergänge beschnitten, doch gab es auch Gründe, die direkt mit der nächsten anstehenden Rune zusammenhingen, Sowilo.

Die Rune war mit spontan unsympathisch. Mehr als jede andere Rune konnte ich bei ihr den Missbrauch im Nationalsozialismus nicht von einer modernen, für mich stimmigen spirituellen Bedeutung trennen. Man erinnere sich - Sowilo fand sich nicht nur im Mörderorden der SS, sondern auch in der Hitlerjugend, wo schon die jungen Hirne vergiftet werden sollte. Und so hatte ich mich auch bemüht, an dieser Rune exemplarisch das Thema Missbrauch im Nationalsozialismus aufzuarbeiten; erste Gedanken sind dazu schon entstanden, aber dem möchte ich später mal ein eigenes Kapitel widmen.

Das nächste Problem war, dass in allen Zuordnungstabellen der Rune Sowilo der Wacholder zugeordnet war. Dies ließ mich, als ich es sah, innerlich aufstöhnen – denn ich und mein Partner Hephaestos hatten schon die Monate zuvor lange nach Wacholderbüschen Ausschau gehalten, da er sie wegen der Zuordnung zu seinem Totemtier Kranich suchte. Aber diese Pflanze wächst hier so gut wie gar nicht, die einzige, die wir hier je fanden, war ein spargeldünnes Mickerchen auf einem Friedhof.

Ein paar Worte zum Wacholder – diese Pflanze ist nach dem, was ich darüber in Büchern und im Internet fand, ebenso wie das Totemtier Kranich, das ihr zugeordnet wird, ambivalent. Die Bedeutungsebene von Dunkelheit, dämonischem und falschem Stolz ist dabei, namentlich in Südeuropa, über diesen Busch ebenso verbreitet wie die Vorstellung, Wacholder (und der Kranich) seien Boten und Übergänge in andere Welten. Zudem ist Wacholder, dessen Nadeln und zermörserte Beeren eine herrliche Räucherung geben, die auch gerne für Lebensmittel verwendet wird, eine Schutzpflanze.

Nun hatte ich vor kurzem in einem botanischen Nachschlagewerk über die Gegend hier nachgeschaut, ob und wo vielleicht doch noch ein Wacholder wachsen könnte; und so erfuhr ich, ein einziges gepflanztes Exemplar sei bekannt, es stehe an einer Bank auf einer Aussichthöhe an der Bergstraße, ein-zwei Orte von hier entfernt. Ich schlug in meinen Wanderbüchern nach, und da der Weg zu dieser Anhöhe durch so hübsch klingende Gegenden wie das „Höllenbachtal“ und den „Heidenlochweg“ führte, beschloss ich, es einmal zu versuchen.

Und so habe ich den heutigen Tag, der nun sonnig ist und dennoch bis weit nach Mittag nebelverhangen und eiskalt blieb, genutzt, um den nächstgelegenen Wanderparkplatz bei erwähnter Aussichtshöhe anzusteuern und mich daran zu machen, den Berg hinaufzusteigen. Kaum stieg ich aus dem Auto, legte es mich schon fast hin. Der Weg war komplett mit einer Eisschicht überzogen, und nur vorsichtig und am Rand entlang konnte man sich bewegen. Ich bat, wie meist vor meinen Runenwanderungen, Odin um Beistand und Weisheit bei diesem Runenspaziergang, und machte mich auf.

Das Tal lag großteils im Schatten, und im Gegensatz zu den Orten im Rheintal lag noch Schnee. Die Pfützen und Bächlein waren so dick mit Eis überzogen, dass man kaum noch das Wasser darunter gluckern sehen konnte, aber ich fand das seltsamerweise stimmig. Obwohl ja Sowilo als Symbol viel mit Sonne und Licht gemein hat (oder haben soll), empfand ich sie immer als kalt. Die Sonne blieb den ersten Teil des Spazierganges verborgen hinter dem nächsten Hügel, und als sie das erste Mal auf den Weg schien, sah ich einen Baum in Form der Rune Algiz. Immerhin, so dachte ich wie auch schon zuvor bei den markanten, starken Efeuranken um die Bäume, immerhin stehen mir die Schutz- und Hilferunen, die ich im November als erkundenswert gezogen habe, hier hilfreich zur Seite. Ich denke, ich kann es gebrauchen.

Ich folgte dem glatten Weg weiter, hin zu der Aussichthöhe. Der Weg zu Sowilo, so dachte ich, erfordert offenbar nicht nur einiges an vorbereitendem Nachdenken, sondern auch Anstrengung – und Konzentration, damit man nicht von dieser Rune aufs Glatteis geführt wird.

Oben angekommen, hielt ich nach einer Bank Ausschau, neben solcher laut der Angabe im Botanikbuch ein Wacholder stehen sollte. Tatsächlich stand auch eine Bank am schönsten Aussichtspunkt, von dem aus man weit die ersten Odenwaldhügel an der Bergstraße entlangsehen konnte. Aber kaum hatte ich Luft geholt und mich umgesehen, kam die Enttäuschung – kein Wacholder in Sicht. Nur einige andere Nadelbäume und ein Stumpf mit wenigen Ästchen daran, den ich hoffungsvoll untersuchte – vielleicht war dies ja mal ein Wacholder? Aber nein, der harzige Nadelbaumgeruch des abgebrochenen Ästchens hatte nichts mit dem typischen Aroma des Wacholders gemein. Dennoch steckte ich den Ast ein und brachte ein kleines Räucheropfer aus meinem Lieblingsduft, Amber.

Ich war jedoch enttäuscht. So viel Mühe, einen Wacholder ausfindig zu machen, und dann das! Nun, dachte ich, vielleicht ist diese Rune wirklich für mich verloren und nicht mehr zu finden. Vielleicht ist sie für mich wirklich so beschmutzt von ihrer Vergangenheit, dass ich sie nicht mehr zu mir kommen lassen kann. Dabei hatte ich mich schon auf der Fahrt zum Parkplatz so schön dem hellen, klaren Wintertag um mich rum öffnen können und mich fast ein bisschen „naturbreit“ gefühlt.

Ich dachte darüber nach, ob ich zurückgehen oder einen anderen Heimweg wählen sollte. Nachdenklich ging ich schließlich weiter die Hügelkuppe entlang, in der Gewissheit, in jener Richtung auf einen der Hauptwege stoßen zu müssten. Dabei stolperte ich über ein Stück Knochen eines Tieres, dessen Backenzähne unheimlich denen eines Menschen ähnelten. Leicht angeekelt ging ich weiter. Tod und Höllental, schwarze SS-Ledermäntel und Sowilo – nun denn, offenbar ist es alles doch nicht zu trennen.

Ich stieß wieder auf meine Wandermarkierung. Kurz danach traf der Weg auf einen anderen, und an dieser Kreuzung stand eine der üblichen Wanderhütten. Daneben stand ein großer, grüner Busch. Argwöhnisch betrachtend ging ich näher – tatsächlich! Ich musste grinsen und dachte: „Typisch Rune“. Der Busch war natürlich ein Wacholder. Ich ging näher und sah, dass ein langer, dicker Ast schon vor längerer Zeit abgebrochen sein musste. Ich brach ohne Schwierigkeiten die Spitze davon ab, die ungefähr fingerdick war, und steckte sie ein. Nach kurzem Zögern zog ich an dem ganzen großen Ast, und tatsächlich ließ er sich problemlos entfernen und von kleinen Seitenästen befreien, so dass ich ihn als Wanderstock benutzen und mitnehmen konnte.

Vorsichtig stieg ich die vereisten Waldwege wieder hinab. Als ich abgelenkt durch die Gegend schaute, wäre ich beinahe gefallen. Doch mit dem Wacholderstab fing ich mich wieder auf. Und ich versuchte, die Erkenntnisse über Sowilo in Worte zu fassen.

Sowilo ist für mich nun schon eine Rune der Erkenntnis, aber eher der gleißend, eisigblaue Blitz, der Funken der Elektrizität als ein warmer Sonnenstrahl. Etwas, was man mit sehr viel Vorsicht angehen muss. Etwas, wofür man viel Arbeit hineinstecken muss, ohne dass automatisch am Ende eine Belohnung steht. Etwas, wofür man mit einer gewissen Bescheidenheit ans Werke gehen muss. Mit Stolz und Eitelkeit ist diese Rune nicht zu finden. Und sie verlangt, sich mit dem Schwarzen und Dunklen auseinanderzusetzen, durch Höllentäler zu laufen und dem ins Gesicht zu sehen, was sogenannte „Herrenmenschen“ in ihr sehen wollten – ein Siegel für die, die von Natur aus besser sind als andere. Und so haben die Nazis das gleißende und entlarvende Licht, das Sowilo ausstrahlt, wenn man es wagt, hineinzusehen, unter ihrer braunen Denkfaulheit, unter Arroganz und Selbstherrlichkeit begraben. Und so wurde aus Sowilo – die schwarze Sonne, die Himmlers engste SS-Elite anbeteten. Und wer sich heute dennoch aufmacht, Sowilo zu entdecken, merkt schnell – der Weg ist lang und glatt. Wenn man sich nicht konzentriert, liegt man schneller auf dem Boden, als man reagieren kann. Sowilo kann weh tun.

Und wenn man nicht versteht, dass man bescheiden seine Hand in die der Götter legen muss, um Sowilo auch wirklich zu finden, wird man mit dem falschen Ästchen heimkommen.

Den großen Wacholderstab habe ich übrigens meinem Freund geschenkt, der schon lange danach gesucht hat. Ich brauche ja nur ein fingerlanges Stück – wenn man nun schon nach so viel Mühe die Erkenntnis findet, warum dann sie behalten? Und den Schnitz-, Säge- und Flexgeräuschen nach zu urteilen, die ich aus dem Wohnzimmer höre, scheint mein Geschenk auf Gegenliebe gestoßen zu sein ;-).



3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke! Das ist ja wieder ein unglaublich intensiver Bericht - habe richtig mitgefröstelt und bin auch in Gedanken die Berge bei Euch entlanggerutscht *g*.
Es entwickelt sich hier für mich in eine Richtung, die einen Kauf weiterer Runenbücher echt überflüssig macht. :-)
LG BärenSchwester

Bodecea hat gesagt…

Danke für die schmeichelnden Worte - du amchst mich langsam arrogant *g*

Alles Liebe
Bodecea

Anonym hat gesagt…

Ich danke dir für eine andere Sicht auf Sowilo, ein bisschen raus aus meinem Tunnelblick ...

Alles Liebe
Esme