05 September 2005

Mannaz

Mannaz – Weinstock – Menschliches, Allzumenschliches

Der Weinstock erschien mir sofort passend zu dieser Rune, die grob Mensch-Mann-Gemeinschafts-Schicksal bedeutet. Die feineren Deutungen waren mir erst nicht ganz klar, aber auch das Leben um mich herum in den letzten Wochen und Monaten zeigte mir bald die Botschaft – es geht um das Menschliche an sich, das Allzumenschliche, wie es Nietzsche ausgedrückt hat. Wie der Wein dies auch widerspiegelt! Beinhaltet er nicht kultisches Requisit, alchemistisches Symbol und einen üble Droge widerspruchslos in sich?

“Where is the wine
The New Wine
dying on the vine”
(Jim Morrison)

So raffte ich mich an einem dieser herrlichen Altweibersommertage auf, in die Weinberge unseres Städtchens hinaufzuklettern, um einen Ast eines Weinstockes mitzunehmen. Natürlich verletzte ich dafür keine Reben, deren Trauben – Winzer, verzeih mir! Ich habe zwei genascht! – langsam süß zu werden beginnen; es lagen auch so genug Ästchen vom letzten Schnitt auf dem Boden unter den Weinstöcken, unter denen ich auswählen konnte. Der Wind, schon herbstlich aufgefrischt, raschelte in den Blättern, während die Sonne noch voller Kraft schien. Schon wieder neigt sich ein Jahr herab vom Höhepunkt des Sommers, tut dies mit Schönheit und Stolz, geht würdig dem Tod entgegen in der Pracht. Etwas Ruhe kehrt ein, und die Rückschau und Besinnung beginnt.

„Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ (Rousseau)

Wieder ein Jahr voller Sorge, Hoffung, und unerfüllter Träume; schon wieder ein Jahr des Wartens, Tuns, Erlebens. Gerade in letzter Zeit frage ich mich oft, ob wir wirklich ohne Überspanntheit mehr sein können als das – leben, lieben, hoffen, nach Besitz und Liebe greifen, den Körper zwacken spüren, Sorgen, Freundschaft, Momente inniger Gemeinschaft... unser Leben besteht aus Millionen kleiner, unbedeutender Episoden, die einem erleuchteten, unsterblichen Wesen äußerst lächerlich vorkommen müssten, und manchmal kommen sie auch einer unerleuchteten, sterblichen Bodecea äußerst lächerlich vor. Von Geld und Besitz als Lebensinhalt kann ich (Dank Gewöhnung...) halbwegs abstrahieren; aber ein Leben ohne jegliche Beziehungen in Liebe, Freundschaft, ja, im alltäglichen kleinen Geschäft, der nichtige Plausch hier, das Geplapper dort - das ist mir eine schlimme Vorstellung, so sehr mich meine Mitmenschen (besonders ganz bestimmte oder zu viele auf einmal) belästigen und stören können.
Doch ich bin kein Einsiedler. Und auch ein Einsiedler könnte nicht sein ohne eine Gemeinschaft, die ihn hervor gebracht hat – Familien, Religionen, Handwerker, Philosophen... jeder Schritt, jeder Biss in ein Stück Nahrung, jeder Gedanke ist mit unendlich vielen Menschen verbunden. Alleine – was könnten wir da sein? Ohne Mitmenschen, ohne deren Ideen in Büchern, Medien, Liedern, Kunst? Menschen, die so isoliert lebten, verlören sicher schnell ihre Menschlichkeit, würden wieder zu Tieren, instinkthaft und unbewusst. Wir sind Mensch nur als Teil der Menschheit, so wie der Weinstock nur Teil des Weinberges ist und sich, allein gestellt, egoistisch-abwürgend über andere Pflanzen hermachen würde – oder untergehen.

„Ein Schritt weiter in der Genesung: und der freie Geist nähert sich wieder dem Leben, langsam freilich, fast widerspänstig, fast mißtrauisch. Es wird wieder wärmer um ihn, gelber gleichsam; Gefühl und Mitgefühl bekommen Tiefe, Tauwinde aller Art gehen über ihn weg. Fast ist ihm zumute, als ob ihn jetzt erst die Augen für das Nahe aufgingen.“ (Nietzsche)

Und darum sollte man, gerade wenn sich der Schleier der alltäglichen niederzwingenden Weltlichkeit etwas lüftet, und dies geschieht gut und leicht in sonnigern Frühherbsttagen, nicht etwa in Arroganz und Weltabgewandtheit über die Kleinlichkeiten der Menschen spotten. Ohne diese Kleinlichkeiten des menschlichen, allzumenschlichen Miteinanders sind wir leer, eine leuchtende Hülle, ein Sonnenstrahl, der nichts erhellt, und wenn wir uns von einigen Problemen befreien können, die uns gefangen halten, sollten wir die freie Hand nutzen, zu helfen oder, so dies nicht möglich ist, Mitgefühl ausdrücken – Mitleid, Mitgefühl für uns alle im Rad dieses menschlichen, allzumenschlichen Schicksals, Mitleid für andere, Mitleid und Trost für uns selbst.


Siehe auch Laguz und Mannaz:
http://bodecea.blogspot.com/2005/08/laguz-und-mannaz-weide-und-wein.html



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Cool! Danke! :-)
Liieepe Grüße, BärenSchwester