Nach dem letzten Beitrag zu Kenaz fiel mir überraschend ein, dass ich die Verbindung zum betreffenden Baum etwas unter den Tisch habe fallen lassen. Daher machte ich mich heute vormittag auf, nach einem geeigneten Kiefernast zu suchen.
Nicht allzu motiviert machte ich mich auf den Weg. Ich fühlte mich heute wie oft in letzter Zeit schlapp, lustlos, phlegmatisch, ja, sogar ein bisschen kränklich und fiebrig. Die (wenige) notwendige Arbeit ging mir manchmal nur wiederwillig von der Hand, Aufgaben, die ich sonst gerne übernahm, blieben liegen, sogar Emails von Freunden blieben oft lange unbeantwortet. Ich fühlte mich träge, meine Gedanken flossen langsam dahin, kleine Schwierigkeiten machten mich mutlos und selbst meine Beine mühten sich beim wandern - und überhaupt hatte ich wenig Lust, mehr zu tun, als mit einem Fantasy-Schmöcker auf dem Bett zu liegen.
Dennoch steuert ich eine der Burgen auf den umliegenden Bergen an und stapfte angestrengt hinauf. Ich hatte die vage Vorstellung, nach einer Kiefer zu suchen, die sich hoch auf einem Gipfel (oder zumindest auf einem Hügel) in die Erde krallt, der Schwerkraft der Abhänge und den Witterungseinflüssen in solche exponierter Lage trotzend.
Obwohl ich schon nach dem ersten Anstieg erschöpft war, zwang ich mich weiter. Müde setzte ich einen Fuß vor den anderen und hatte das Gefühl, gleich beim Laufen einzuschlafen. Dennoch erreichte ich nach einer Weile mein Ziel und sah auch gleich eine große, starke Kiefer, die sich ein paar Meter unterhalb der Burg im Wald an dem steilen Hang festhielt. Ich versuchte, den Baum zu erreichen, aber egal, welchen Trampelpfad ich hinaufkraxelte – ich war immer zu weit weg und einige unüberquerbare Meter von der Kiefer entfernt, um ihr einen Ast abzubrechen. Ich wollte schon aufgeben, da fand ich, gerade noch erreichbar, einen abgebrochenen Ast im Gebüsch liegen und nahm ihn an mich.
Was hat mich das gelehrt?
Ich hatte ja schon erkannt, dass Kenaz als leuchtende Fackel des Verstandes wenig ist ohne Mut und Leidenschaft sowie Liebe und Mitgefühl an seiner Seite. Nun ging mir auf, dass ich einen wichtigen Aspekt vergessen hatte, den gerade diese Bild der sich im Fels festkrallenden Kiefer treffend symbolisiert – die Zähigkeit und Ausdauer.
Oder um es einfacher zu sagen – nicht nur der luftige Verstand, die feurige Leidenschaft und das Wasser des Gefühls sind nötig, damit sich eine positive Kraft von Kenaz vollkommen entfalten kann, sondern auch pure, erdige Zähigkeit.
Kein Wunder, dass ich das zunächst vergaß. Sowohl mein Horoskop als auch jeder Elementetest bescheinigen mir, dass ich nicht sonderlich erdig bin. Ich muss um diesen Aspekt ziemlich kämpfen.
Noch so viel Intelligenz, Eifer und Liebe allein schreibt keine Doktorarbeit fertig, bewahrt keine lange Beziehung, genügt nicht, um einen anderen Menschen wirklich zu erkennen. Manchmal benötigt man den trotzigen Durchhaltewillen einer Krüppelkiefer an der Baumgrenze, um einen guten Abschluss zu erreichen oder ein Vorankommen. Manchmal muss man einfach nur durchhalten, wenn langsam im tiefen dunklen Labyrinth die Fackel beinahe erlischt, der Mut wankt und das Herz zweifelt.
Manchmal muss man einfach weitermachen.
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