Jeder Mensch hat sie, jeder Mensch beklagt sie beim anderen und rechtfertigt sie bei sich selbst. Das ist menschlich und normal, aber sollte man nicht als Mensch, der ein gewisses spirituelles Wachstum anstrebt, versuchen, seine Vorurteile zu erkennen, analysieren und reflektieren - und abzulegen?
Ich habe gemerkt, dass es oft sehr erhellend ist, wenn man wirklich versucht, bewusst eine andere, gegensätzliche Position einzunehmen zu dem, was man sonst glaubt und denkt. Das ist oft sehr schwer.
Ich möchte nur mich und alle, die das lesen, dazu mit einem alltäglichen Beispiel (was jetzt nicht aus dem Repertoire meiner Vorurteile stammt!) zu motivieren...
Wie wir alle wissen, stellen Ausländer einen überdurchschnittlichen Anteil bei den Tatverdächtigen (und wie leider viele nicht wissen, rechnet sich dieser Anteil auf den Durchschnitt herunter, wenn man demoskopische Merkmale wie Altersaufbau, Sozialstruktur usw. mit einbezieht).
Stellen wir uns vor, jemand sieht eine Bande offenbar ausländischer Mitbürger, die gerade verhaftet wird. Klar, sagt der, der in ihnen Ausländer sieht, das sind halt keine Deutschen. Ausländer sind halt kriminell. Also – abschieben, weg damit, Problem erst mal gelöst.
Ist das die einzige oder einzig wahre Sicht?
Na sicher nicht.
Lassen wir doch ein paar andere fiktive Personen zu Wort kommen...
Die Feministin: „Ich sehe hier in erster Linie Männer. Und das bestätigen mir auch die Statistiken – Gewaltdelikte werden großteils von Männern begangen. Daher müssen wir die Gesellschaft verändern und Männer an ihrem gewalttätigen Tun hindern.“
Der Lernpsychologe: „Ich sehe Menschen, die durch Vorbilder in den Medien und Belohnung gelernt haben, dass es toll und cool und lohnenswert ist, aggressiv und gewalttätig zu sein. Wir sollten die Vorbilder, die in den Medien und zu Hause vermittelt werden, mal genauer unter die Lupe nehmen.“
Der Jugendsoziologe: „Ich sehe junge Menschen. Die Probleme der Adoleszenz sind heute in der Gesellschaft noch größer als vor 20 oder 50 Jahren, da kaum noch verbindliche Werte existieren, außerdem die soziale Unsicherheit immer mehr zur – teils kriminellen – Subkulturbildung beiträgt. Wir sollten dies vor Ort mit Sozialarbeitern im Auge behalten und versuchen, zumindest die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu ändern.“
Der PISA- Forscher: „Ich sehe Verlierer des deutschen Bildungssystems, die ohne qualifizierten Schulabschluss keine Chance mehr auf eine angemessene Ausbildung und berufliche Zukunft haben und daher in die Kriminalität abrutschen. Wir müssen unser Bildungssystem verbessern.“
Der Marxist: „Ich sehe die subproletarische Ausgeburt des Monopolkapitalismus, die unterhalb jeglicher Mitbestimmung vollkommen selbstentfremdet vor sich hin vegetiert. Wir müssen eine sozialere Gesellschaft schaffen.“
Der Krisenforsche sagt: „Ich sehe Menschen, die erst vor ein paar Monaten aus einem Krisengebiet gekommen sind und mit der Kalaschnikow unter dem Kopfkissen großgeworden sind. Wir müssen die Gewalt auch im Ausland bekämpfen, denn sie trifft und auch hier.“
Und du?
Nimm einfach mal eines deiner Vorurteile und wende es ein wenig hin und her... es lohnt sich.
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